Wer als Bahnreisender den Osnabrücker Hauptbahnhof von Hannover bzw. Amsterdam kommend erreicht, dem fällt der große Betonklotz oft sofort ins Auge: Der alte Hochbunker aus Zeiten des 2. Weltkriegs, in welchem sich zu Kriegszeiten bis zu 4.000 Menschen drängten. Es mag nicht der schönste erste Eindruck sein, den man von Osnabrück erlangt und doch gehört dieser massive Luftschutzbunker mit seiner verrußten graubraunen Fassade irgendwie zum Stadtbild dazu.
Ausgangspunkt für den Bau des Bunkers war das im Herbst 1940 verabschiedete Luftschutz-Sofortprogramm Adolf Hitlers, welches den Bau massiver Luftschutzbunker in stark luftgefährdeten Orten im Deutschen Reich vorsah. Der strategische und militärische Wert der Hasestadt sowie die große infrastrukturelle Bedeutung des Eisenbahnkreuzes als einer der Hauptknotenpunkte des deutschen Bahnverkehrs führte dazu, dass Osnabrück im Jahr 1940 zu den 60 deutschen Großstädten gehörte, welche von dem ersten großen Bunkerbauprogramm profitierten.
In Anbetracht der ersten Luftangriffe auf Osnabrück in den Jahren 1940 und 1941, welche sich im Wesentlichen gegen Ziele der Reichsbahn und angrenzende Industrieanlagen richteten, verwundert es wenig, dass ausgerechnet am Eisenbahnkreuz mit dem Bau eines Großbunkers begonnen werden sollte.
Nach aktuellem Kenntnisstand starteten die Arbeiten am Hochbunker im Sommer des Jahres 1941, also ein gutes halbes Jahr nach Erlass des Luftschutz-Sofortprogramms. Neben Fördermitteln des Deutschen Reichs beteiligte sich auch die Stadt Osnabrück an dem Projekt. Die Bauausführung selbst wurde durch die Reichsbahn beauftragt und koordiniert. Nach Fertigstellung sollte der Bunker 1.525 bombensichere Schutzplätze bieten und damit die wenigen bis dahin von Stadt und Reichsbahn zur Verfügung gestellten Schutzräume in der Umgebung entlasten. Neben den obligatorischen Licht- und Belüftungsanlagen, soll der Bunker zudem über eine an das städtische Versorgungsnetz angeschlossene Wasserversorgung verfügt haben. Eine Heizungsanlage gab es entgegen anders lautender Gerüchte nicht.
Um den Bahnreisenden möglichst kurze Wege zum Luftschutzbunker zu ermöglichen, bot sich ein bis dahin noch nicht erschlossener Baugrund zwischen Bahnhofsgebäude und Wasserturm an. Die vor Ort vorhandene ca. acht Meter hohe Böschung und das dahinterliegende Felsgestein boten für diese Zwecke optimale Voraussetzungen. Durch die Ausschachtung und Integrierung des Bunkerkomplexes in den vorhandenen Hang konnten gleich mehrere bauliche Vorteile erreicht werden. So waren die unteren zwei der insgesamt fünf Stockwerke des Bunker-Hauptkörpers an drei Seiten fast vollständig von Erdreich und Felsgestein umschlossen, wodurch die Bombensicherheit des Bauwerks auf einfache Weise erhöht werden konnte. Durch die Hanglage war es so zudem auf einfache Weise möglich Eingänge auf verschiedenen Ebenen anzulegen, so dass Schutzsuchende zum Einen durch das Untergeschoss auf Niveau der Bahnsteige D - E (Gleis 11 - 14) und zum Anderen über das dritte Geschoss auf Höhe der Bahnsteige A - C (Gleis 1 - 5) in den Bunker gelangen konnten.
Da der Zugang von den Bahnsteigen D und E her für die Reisenden aufgrund der kreuzenden Gleise zwischen Bunker und Bahnsteigen nur unter Lebensgefahr möglich gewesen wäre, musste der Zuweg zum Bunker unter das Gleisbett verlegt werden. Hierfür wurde zusätzlich zum eigentlichen Bunkerkörper ein ca. acht Meter breiter und insgesamt etwa 45 Meter langer Zugangstunnel geschaffen, welcher geradewegs vom vorgelagerten Eingangsbauwerk des Bunkers in Richtung Bahnhofsgebäude führte. Bis Kriegsende soll dieser Tunnel allerdings nicht vollendet worden sein. Zwar hatte man den heute bekannten Bereich des "Bunkertunnels" bis zu diesem Zeitpunkt bereits mit Eisenbeton ausgekleidet und zwei breite Treppenhäuser am Bahnsteig E angelegt, doch stand eine geplante Verbindung zu Bahnsteig D noch aus. Da uns bisher noch keine Originalpläne des Bunkerkomplexes vorliegen, konnte zudem noch nicht geklärt werden, was es mit einem dritten Zugang auf sich hatte, der am Fuße des Bunkers Zutritt zu einem oder mehreren halb unterirdischen Räumen westlich des Tunnels erlaubte. Unter Umständen standen diese Räume im Zusammenhang mit dem später begonnenen Luftschutzstollen, welcher "in U-Form" um den Hochbunker gebaut wurde. Leider fehlt von diesem Stollenbunker aber bisher jede Spur, daher ist dies eine reine Mutmaßung. Bei unserer Besichtigung des Tunnels vor der Verfüllung im Jahr 2015 waren die genannten Räume leider nicht mehr zugänglich.
Ein weiteres Rätsel gab zudem eine "Kammer" am Südende des Tunnels auf, welche erst im Rahmen der Verfüllung hinter einer vorgezogenen Klinkerwand wiederentdeckt wurde. Der Raum ähnelte in seinen Abmessungen denen des Tunnels, war allerdings nur etwa 10 Meter lang und durch eine eingezogene Betonwand vom restlichen Tunnel räumlich abgetrennt. Die Kammer ihrerseits war nochmals durch eine massive Ziegelsteinwand unterteilt, welche allerdings nicht bis zur Decke reichte. Die zu erwartenden Treppenaufgänge zu Bahnsteig D, welche sich hinter dieser Kammer hätten befinden müssen, waren nicht erkennbar. Allem Anschein nach wurden hier nach Kriegsende Verfüllungs- und/oder Sicherungsmaßnahmen durchgeführt, die eine eindeutige Bestimmung der "Kammer" heute erschweren. Unter Umständen war der Tunnel also noch länger als heute bekannt.
Nachdem der Bunker mit seiner Fertigstellung im Jahr 1943 für den Luftschutz offiziell freigegeben wurde, stieg die Zahl der Schutzsuchenden mit dem Wiedereinsetzen der Luftangriffe auf Osnabrück im Winter 1943 stark an. So sollen sich hier bei Fliegeralarm in den letzten Kriegsmonaten bis zu 4.000 Menschen aufgehalten haben, was einer fast dreifachen Überbelegung entsprach. Ob hierbei auch der nahezu bombensichere Tunnel in Beschlag genommen wurde, ist unklar. Offiziell diente dieser nämlich nicht als Luftschutzraum.
Um den Bunker vor gegnerischen Aufklärern zu verbergen, waren entlang der Fassade große Tarnnetze gespannt. Allerdings hatte diese Maßnahme nur wenig Nutzen, da sich der Schutzbau inmitten der stark luftgefährdeten Bahnanlagen befand und daher stets Gefahr lief indirektes Ziel der Angreifer zu werden. So soll der Hochbunker im 2. Weltkrieg gleich mehrfach von Fliegerbomben getroffen wurden sein. Die massive Bauweise verhinderte jedoch Schlimmeres. Allerdings hat es im Laufe des Krieges zwei Todesfälle im Bunker gegeben, die jedoch nicht auf direkte Bombeneinwirkung zurückzuführen sind. Der erste Todesfall ereignete sich während eines Fliegeralarms am 11. Juni 1944. An diesem Tag starb der ehemalige Gewerkschaftssekretär Hermann Bolwin unter noch ungeklärten Umständen im Hochbunker. Der zweite Todesfall ereignete sich während eines Luftangriffs am 1. November 1944, nachdem der Bahnangestellte August Fiedeldey einen Herzschlag erlitt und nicht mehr reanimiert werden konnte.
Wie notwendig und lebenserhaltend der Bahnhofs-Hochbunker letztlich gewesen ist, davon zeugen die Aufnahmen des Osnabrücker Bahnhofsviertels aus dem Jahr 1945. Der Stadtteil war bei Kriegsende zu 84% zerstört, kaum ein Stein stand hier mehr auf dem anderen. Ähnlich sah es auch in den umliegenden Bereichen des Klushügels und des heutigen Haseparks aus. Im Bereich des Hauptbahnhofs war der Bunker nahezu das einzig intakte Bauwerk. Eine Zeitzeugin nannte den Bunker daher einmal eine "Trutzburg zwischen Trümmern".
Während diverse Klein- und Hochbunker nach dem Krieg zunächst entfestigt und später vollständig abgerissen wurden, blieb der Hochbunker am Osnabrücker Hauptbahnhof von diesen Maßnahmen gänzlich verschont. Nutznießer des Erhalts war zunächst die Deutsche Reichsbahn bzw. Deutsche Bahn, die den Bunker nach dem Krieg als Lagerraum nutzen konnte. Entsprechende Umbaumaßnahmen lassen sich noch heute im Inneren des Bunkers erkennen.
Zum Höhepunkt des Kalten Kriegs weckte der Bunker erneut Begehrlichkeiten seitens der Behörden. So sollte der Bunker Mitte der 1960er vollständig modernisiert und wieder der Zivilschutzbindung zugeführt werden. Obwohl im Inneren bereits entsprechende Umbaumaßnahmen im Gange gewesen sein sollen, nahm man letztlich aber doch wieder Abstand von diesem Vorhaben. Der Grund hierfür ist nicht bekannt.
Im Jahr 2010 wurde der alte Reichsbahnbunker letztlich von der Bahn-Tochter aurelis Real Estate zum Kauf angeboten und ist seit 2012 in Privatbesitz. Der Tunnel unter dem Gleisbett wurde im Auftrag der Bahn im Jahr 2015 leider verfüllt. Grund sollen statische Probleme gewesen sein. Wie es in Zukunft mit dem Hochbunker weitergeht, ist noch unklar. Nach Informationen des heutigen Eigentümers sind im Inneren unter Anderem Lager- und Proberäume geplant. Im Jahr 2021 wurde der Bunker bzw. ein Stockwerk des Bunkers im Rahmen des Famos-Festivals erstmals für eine breite Öffentlichkeit geöffnet und hierbei selbst zur Leinwand für diverse Grafittikünstler aus ganz Deutschland. Heute sind daher einige Innenwände sowie drei Seiten der Bunkerfassade mit Kunstwerken versehen. Leidiglich die dem Bahnhof zugewandte Fassade ist unangetastet geblieben.
Da der Bunker gegenüber den anderen Osnabrücker Hochbunkern über die Jahrzehnte seit Kriegsende äußerlich nahezu unverändert geblieben ist, ist das Bauwerk in Osnabrück heute einmalig. Es wäre daher aus historischer Sicht wünschenswert, diesen Bunker oder zumindest die Grundsubstanz des Bunkers unter Denkmalschutz zu stellen, um auch der Nachwelt dieses stadthistorisch bedeutsame Bauwerk zu erhalten.
Zusammenfassung:
- BauherrDeutsche Reichsbahn / Übernahme der Baukosten zu 2/3 durch die Stadt Osnabrück bzw. das Deutsche Reich
- Anzahl Stockwerke5
Anmerkungen: 5 Ebenen zzgl. Tunnel - Heutige Nutzungungenutzt
- BaumaterialEisenbeton
- Aufnahmekapazität (offiz. Angaben)1.525 Personen
- Wandstärke2,00 Meter
Anmerkungen: Im Eingangsbereich 1,10m - Deckenstärke2,50 Meter
- BaubeginnSommer 1941
- Anlage galt als relativ bombensicherja
- Anlage ist noch erhaltenja
Anmerkungen: Tunnel zu Bahnsteig D im Jahr 2015 verfüllt