Hörne & Sutthausen: Bahngleise für den Luftschutz

Hörne & Sutthausen: Bahngleise für den Luftschutz

Fast vergessene Bahnanlagen im Hörner Bruch und am Sutthauser Bahnhof

US-Luftaufnahme Hörner Bruch 1945
US-Luftaufnahme vom nördlichen Bereich des Hörner Bruchs aus dem Frühjahr 1945. Durch das fehlende Blätterwerk sind die Trassen im Wald auf diesem…
Foto: USAAF | 1945

Einigen Lesern dieser Seite sind die ehemaligen Gleisanlagen im Hörner Bruch vermutlich bekannt, die während des 2. Weltkriegs tief in den Wald südwestlich des Betriebsbahnhofs Hörne verlegt wurden. Kaum bis gar nicht mehr bekannt ist hingegen, dass es auch am Sutthauser Bahnhof ein Zweiggleis gab, das vermutlich erst in den letzten Kriegsmonaten angelegt wurde. Doch was hatte es überhaupt mit diesen Gleisen auf sich? Welchem Zweck dienten sie, wo verliefen diese Trassen und was ist davon heute eventuell sogar noch vorhanden?

Um die Hintergründe dieser Bauvorhaben zu verstehen, vorab ein kurzer Blick auf die damalige Situation der Reichsbahn vor Ort. In Osnabrück befanden sich damals drei große Bahnbetriebs- und Ausbesserungswerke für Dampflokomotiven und Waggons sowie mehrere Betriebs- bzw. Rangierbahnhöfe, der heute verwaiste Güterbahnhof nahe des Eisenbahnkreuzes am Hauptbahnhof sowie mehrere kleinere Personenbahnhöfe am Stadtrand. Damit war Osnabrück nicht nur ein wichtiger Dampflok-Stützpunkt in Norddeutschland, sondern auch für den Personennah- und Fernverkehr von großer Bedeutung. Hinzu kamen Unmengen an kriegswichtigen Gütern und Soldaten, die tagtäglich das "Nadelöhr" am Osnabrücker Hauptbahnhof passieren mussten. Doch so wichtig die Bahn für die Region war, so fragil waren die Gleisanlagen und Reichsbahn-Betriebe bei Angriffen aus der Luft. Nicht zuletzt aus diesem Grund galt Osnabrück bereits seit Oktober 1940 als luftgefärdeter Ort erster Ordnung, denn auch der britischen Luftwaffe war die Bedeutung der "Dampflokhochburg Osnabrück" schon vor Kriegsbeginn bekannt.

US-Luftaufnahme Hörner Bruch
Die Luftaufnahme des Hörner Bruchs mit markierten Schattenwürfen entlang der…
Foto: USAAF, Nachbearbeitung Haubrock | 1945

Während man den Personenschutz entlang der Bahnanlagen durch den Bau von Luftschutzbunkern verhältnismäßig einfach umsetzen konnte, blieben die Gleisanlagen selbst und damit nahezu die gesamte Eisenbahn-Infrastruktur in Osnabrück den Sprengbomben der Alliierten schutzlos ausgeliefert. Auf dem Höhepunkt des Bombenkriegs in den Jahren 1944 und 1945 kam es nach Luftangriffen daher auch immer wieder zu massiven Störungen bis hin zu Totalausfällen des Bahnverkehrs im Stadtzentrum. Zunehmend wurden jetzt auch einzelne Dampflokomotiven und Züge durch gezielten Tieffliegerbeschuss schwer beschädigt oder zerstört, was die Notlage der Reichsbahn weiter verschärfte.

Um die für die Kriegswirtschaft und den Truppentransport überlebenswichtigen Lokomotiven zu schützen, wurde es notwendig, diese aus den Betriebswerken im Stadtzentrum zu verlegen und möglichst geschützt vor feindlichen Aufklärern und (Jagd-)Bombern am weniger gefährdeten Stadtrand auf Abruf bereitzustellen. Folglich mussten Flächen entlang der bestehenden Bahnstrecken gefunden werden, die zum Einen stadtnah waren und zum Anderen festen Baugrund auf Gleisniveau sowie gute Voraussetzungen für die einfache Tarnung der großen Loks boten. Hierfür kamen etwa Waldstücke oder Schluchten in Frage, die natürliche Verstecke boten. Entsprechende Flächen waren um Osnabrück allerdings rar. Die Strecke nach Bissendorf etwa bot keine entsprechenden Optionen. An der Trasse in Richtung Bohmte standen solche Standorte erst zwischen Vehrte und Ostercappeln zur Verfügung. Die Strecke in Richtung Bramsche wäre erst nördlich von Halen relevant geworden, führte dort aber unmittelbar am Fliegerhorst Achmer vorbei. Entlang der Bahnlinie in Richtung Rheine befand sich mit dem Leyer Holz zwar ein großes Waldstück, doch der dort stark ansteigende Hang machte den Bau von Zweiggleisen zu aufwendig.

Luftaufnahme Hörner Bruch 1945
US-Luftaufnahme vom Hörner Bruch aus dem Frühjahr 1945 mit markiertem…
Foto: USAAF, Nachbereitung Haubrock | 1945

Als offenbar einziger möglicher Standort konnte der Hörner Buch südwestlich des Stadtzentrums solchen Anforderungen gerecht werden. Der Wald liegt in unmittelbarer Nähe zum Betriebsbahnhof Hörne und nur etwa vier Streckenkilometer vom Haupt- und Güterbahnhof entfernt. Dass die Reichsbahn bzw. der Auftraggeber dieses Bauprojekts sich folglich für den Hörner Wald als "geheime Abstellfläche" entschied, ist also anhand der genannten Gesichtspunkte nachvollziehbar.

Wie und wann allerdings genau mit den Bauarbeiten für diese "Geistergleise" begonnen wurde, ist bisher nicht schriftlich belegt. Die Vermutung liegt nah, dass die Baumaßnahmen erst im Jahr 1944 begannen, nachdem das Osnabrücker Stadtzentrum mehr und mehr in Trümmer fiel und man im gesamten Deutschen Reich verzweifelt versuchte kriegswichtiges Material aus den luftgefährdeten Gebieten zu evakuieren. Bisher finden sich zum Hörner Bruch in diesem Bezug allerdings keine schriftlichen Quellen. Möglicherweise bestand ein Zusammenhang zur sogenannten 5. SS-Eisenbahnbaubrigade, die im Oktober 1944 in Osnabrück eintraf und unter Anderem am Ausbau der Umgehungsbahn auf der alten Perm-Trasse bei Hasbergen maßgeblich beteiligt war. Die KZ-Häftlinge dieser Brigade waren zudem auf dem nahegelegenen Betriebsbahnhof Hörne interniert, was einen möglichen Arbeitseinsatz im Hörner Bruch nahgelegt. Auch wäre es nicht abwegig, wenn die SS an den Planungen am Hörner Bruch beteiligt gewesen wäre, da diese bereits im Jahr 1943 mit der Verlagerung kriegswichtiger Infrastruktur betraut wurde.

US-Luftaufnahme Hörner Bruch 1945
US-Luftaufnahme vom südwestlichen Bereich des Hörner Bruchs, 1945.
Foto: USAAF | 1945

Ebenso unklar wie die Umstände der Baumaßnahmen war bisher der genaue Verlauf dieser Trassen selbst. In diesem Fall konnten allerdings Luftaufnahmen aus dem Jahr 1945 für etwas mehr Klarheit und sogar noch für eine kleine Überraschung sorgen. Ausgehend von den genannten Luftbildern, die dem Artikel anhängen, befand sich der Ausgangspunkt der mehr oder minder geheimen Bahnanlage auf Höhe heutigen Autobahnbrücke am Nordrand des Hörner Bruchs. Über eine entsprechende Weiche dort konnten Züge vom Betriebsbahnhof kommend in den Bruch einfahren, die parallel zum Hauptgleis verlaufende Landwehr kreuzen und auf die entsprechenden Abstellgleise gelangen.

Auch die Größe des Gleisfächers im Wald lässt sich anhand der Fotos relativ gut nachvollziehen. Demnach existierten damals zwei oder gar drei parallel nach Süden verlaufende Trassen, die bis zu 300 Meter in den Wald verliefen. Ersichtlich sind hier ungewöhnlich starke Schattenwürfe im nördlichen Teil des Hörner Bruchs, die sich bis zum verlängerten Waldweg auf Höhe "Zum Dütekolk" erstrecken. Ob es sich hierbei allerdings um abgestellte Lokomotiven handelt, ist nicht eindeutig erkennbar. Der linienförmige Verlauf und der starke Kontrast zum umliegenden Gelände spricht jedenfalls eindeutig gegen einen natürlichen Ursprung.

Luftaufnahme Hörner Bruch
Luftaufnahme vom südwestlichen Bereich des Hörner Bruchs. Oben rechts sind die…
Foto: USAAF, Nachbearbeitung Haubrock | 1945

Folgt man den genannten Strukturen weiter in Richtung Süden, so lassen sich dort zwei weiterführende lineare Strukturen erkennen, die nochmals 300 Meter in den Wald führen. Diese könnten ebenfalls Gleise darstellen, die Bahndämme dementsprechend also sogar 600 Meter lang gewesen sein. Allerdings sind in diesem Bereich mit Ausnahme von jeweils zwei mutmaßlichen Bombenkratern auf den vermeintlichen Trassen keine weiteren Schattenwürfe zu erkennen, die auf Lokomotiven oder ähnliches hindeuten. Nach 600 Metern verliert sich die Spur letztlich im Wald. An diesem Punkt bietet sich dann allerdings ein Bild, das weitere Rätsel aufgibt. So sind dort neben diversen Bombenkratern Konturen zu erkennen, die auf größere Bautätigkeiten hindeuten könnten. Auch ist dieser Bereich als einziger im gesamten Waldgebiet von unterschiedlich hellem bzw. dunklen Baumkronen verdeckt, bei denen es sich unter Umständen auch um Tarnnetze handeln könnte. Weiterhin lassen sich hier Graben-ähnliche Strukturen erkennen, die in mehrere Richtungen vom genannten Standort wegführen. Evtl. standen diese auch im Zusammenhang mit der mutmaßlichen Flak-Stellung im Hörner Bruch. Hier bedarf es allerdings noch weiterer Nachforschungen.

Das Gerücht, dass es im Südwesten des Hörner Bruchs eine zusätzliche Anbindung an das Hauptgleis in Richtung Sutthausen gab, die "Geistergleise" also durch den gesamten Wald führten, lässt sich auf den Luftbildern hingegen nicht belegen. Hier käme als Anschlussstelle aus meiner Sicht nur der bewaldete Bereich auf Höhe des Gehöfts An der Sutthauser Mühle 6 in Betracht, da nur dort der Wald auf gleichem Höhenniveau bis an das Hauptgleis heranführte und die Trasse zudem durch die Baumkronen entsprechend hätte getarnt werden können. Dies wäre zugleich auch der südlichste Punkt des Hörner Bruchs gewesen, der in Frage käme, da am Südrand des Hörner Bruchs bereits im Krieg eine Wohnsiedlung exisiterte (Siedlung an der heutigen Adolf-Stapelfeld-Straße). In dem Bereich Sutthauser Mühle 6 sind aber mit Ausnahme von Bombenkratern keinerlei entsprechende Strukturen auf den Luftaufnahmen ersichtlich. Auch ein Besuch vor Ort hat diesbezüglich keine neuen Erkenntnisse gebracht. Lediglich einige Bombenkrater sind dort heute noch zu entdecken.

Luftaufnahme Zweiggleis Bahnhof Sutthausen
Eine Luftaufnahme des Zweiggleises am Sutthauser Bahnhof, aufgenommen im März…
Foto: USAAF | 1945

Doch bisweilen ist an Gerüchten ja doch ein Fünkchen Wahrheit zu finden. In diesem Fall liegt dieser allerdings ziemlich genau einen Kilometer weiter südlich. Noch genauer: Zwischen Sutthauser Bahnhof und Gut Wulften. Während die Existenz von Bahngleisen im Hörner Wald bis heute relativ bekannt geblieben ist, so war über die Baumaßnahme in Sutthausen bis dato nichts zu finden. Wenngleich das Objekt in Sutthausen nicht im direkten Zusammenhang mit den Anlagen in Hörne stand und auch ein eher kleines Bauvorhaben darstellte, sollte es trotzdem eine kurze Erwähnung finden. Denn auch hier existierte ein mehr oder weniger verborgenes Zweiggleis bzw. Abstellgleis, das allem Anschein nach erst in den letzten Kriegsmonaten angelegt wurde.

Die Besonderheit an diesem Objekt war, dass es auf Höhe der Straße Am Knochenhof vom Hauptgleis abzweigte, in östlicher Richtung auf etwa 350 Metern Länge bis zur heutigen Malberger Straße verlief und hierbei offenbar waagerecht in den leicht ansteigenden Hang gelegt wurde. Es befand sich also in weiten Teilen unterhalb der Erdgleiche. Entsprechende Erdaufwürfe bzw. Wälle seitlich des Bahndamms belegen dies. Allerdings ist nicht klar, ob es sich hierbei nur um eine Nothaltebucht für Lokomotiven im Falle eines Luftangriffs oder gar um ein Gleis für eine schwere Eisenbahn-Flak gehandelt hat. Entsprechende Flak-Züge waren seit 1944 unter Anderem auch am Hasberger Bahnhof und im Betriebsbahnhof Hörne zur Verstärkung der ortsfesten Flak-Stellungen stationiert. Da die Strecke bei Sutthausen allerdings nur eingleisig verläuft, wäre ein entsprechendes Zweiggleis wie dieses für eine Eisenbahn-Flak notwendig gewesen. Auch hätte eine weitere Flak-Batterie an dieser Stelle Sinn ergeben, da im Raum Sutthausen nur wenig Flak-Schutz vorhanden war.

Luftaufnahme Abstellgleis Sutthausen 1945
Die Luftaufnahme des Abstellgleises in Sutthausen mit rot markierten Ausbuchtungen.
Foto: USAAF, Nachbearbeitung Haubrock | 1945

Ein weiteres Indiz, das für die Flak-Theorie spricht, sind die drei bzw. vier erkennbaren Ausbuchtungen entlang des Gleises, die ausreichend Platz für entsprechende Geschützwagen geboten hätten. In Feuerstellung wurden die Seitenwände der Geschützwagen in die Waagerechte abgeklappt, was einen höheren Platzbedarf in der Breite erforderte. Auf den bekannten Luftaufnahmen erscheint das Gleis allerdings verwaist. Daher ist diese Annahme reine Mutmaßung.

Sofern Ihr noch weitere Informationen besitzt, insbesondere zum letztgenannten Abstellgleis in Sutthausen, schreibt mich gerne an. Ich bin für jeden Hinweis und jede zusätzliche Information dankbar.

Bildmaterial

Fotografien und Bilder

  • US-Luftaufnahme Hörner Bruch 1945
    US-Luftaufnahme vom nördlichen Bereich des Hörner Bruchs aus dem Frühjahr 1945.…
    Foto: USAAF | 1945
  • US-Luftaufnahme Hörner Bruch
    Die Luftaufnahme des Hörner Bruchs mit markierten Schattenwürfen entlang der…
    Foto: USAAF, Nachbearbeitung Haubrock | 1945
  • Luftaufnahme Hörner Bruch 1945
    US-Luftaufnahme vom Hörner Bruch aus dem Frühjahr 1945 mit markiertem…
    Foto: USAAF, Nachbereitung Haubrock | 1945
  • US-Luftaufnahme Hörner Bruch 1945
    US-Luftaufnahme vom südwestlichen Bereich des Hörner Bruchs, 1945.
    Foto: USAAF | 1945
  • Luftaufnahme Hörner Bruch
    Luftaufnahme vom südwestlichen Bereich des Hörner Bruchs. Oben rechts sind die…
    Foto: USAAF, Nachbearbeitung Haubrock | 1945
  • Luftaufnahme Zweiggleis Bahnhof Sutthausen
    Eine Luftaufnahme des Zweiggleises am Sutthauser Bahnhof, aufgenommen im März…
    Foto: USAAF | 1945
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    Foto: USAAF, Nachbearbeitung Haubrock | 1945

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